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Selbst orientiertes Lernen

  • Autorenbild: Daniel Rahal
    Daniel Rahal
  • 9. Jan. 2020
  • 7 Min. Lesezeit

Bildung bezeichnet in der Pädagogik die Auseinandersetzung eines Menschen mit sich und seiner Umwelt, mit dem Ziel kompetenten und verantwortlichen Handelns.“ (Stangl, 2017) So wird im Lexikon für Psychologie und Pädagogik Bildung definiert. Die Bildung umfasst also alle Aspekte des Lebens, nicht nur wie es vielleicht intuitiv auf die Schule limitiert wird und da die Welt sich fortlaufend weiterentwickelt und sich das Leben der Menschen auch immer stärker verändert, verändert sich die Individuelle Bildung, um den neue geforderten Kompetenzen gerecht zu werden, wie zum Beispiel, dass eine eigentlich völlig unnatürliche Intuition beim Bedienen von Elektronischen Geräten erwartet wird. Natürlich zählen demzufolge auch das Aneignen von Fähigkeiten Handwerklicher Natur zur Bildung, jedoch hat auch hier eine starke Veränderung stattgefunden. Wo nur möglich werden die Menschen durch Maschinen ersetzt um Kosten zu sparen oder die Produktivität zu steigern, vor allem im Bereich der Produktion, wo alles nach Plan verläuft und die Meister der wiederholten Muster, die automatisierten Roboter, am idealsten platziert sind. Der Mensch wird vom ausführenden zum Planer und Programmierer, es wird von ihm eine bessere theoretische Bildung erwartet. (vgl. Grey, 2014) Die Übermittlung dieser theoretischen Bildung jedoch, scheint im Wandel der Zeit nicht gross beeinflusst worden zu sein. Klar, die Schulen verfügen jetzt über Mediatheken, Aufsätze werden heutzutage getippt und nicht geschrieben aber die Art wie Wissen vermittelt wird und die nachfolgende Leistungskontrolle hat sich nicht gross verändert. Der sogenannte traditionelle lehrerzentrierte Frontalklassenunterricht wird zwar als Relikt des 19. Jahrhunderts beschrieben (vgl. http://www.taz.de/!494341), ist jedoch immer noch die Norm im Unterricht. Währenddem also in anderen Geisteswissenschaften grosse Sprünge zu verzeichnen sind, stagnierte die Didaktik in den letzten zwei Jahrhunderten? Kann es sein, dass das System von Lehrervorträgen mit eingeschobenen Einzelarbeiten schlicht und einfach die beste Methode für das ultrakomplexe menschliche Gehirn ist um sich neues Wissen anzueignen? Solche Fragen werden von vielen Leuten gestellt, mitunter Herr Roland Züger, mit welchem ich für diesen Bericht ein Interview gehabt habe. Über Ausschnitte dieses werde ich versuchen Ihnen das SOL, das Selbst Orientierte Lernen, näherbringen. Es ist eines von vielen Konzepten, welche versuchen einen der Zeit gerechten Unterricht zu erstellen.

Selbst Orientiertes Lernen

«Im SOL werden die traditionellen Prinzipien des Unterrichts unter die Lupe genommen und es wird evaluiert welche Limitationen wirklich nötig sind.», erzählt Herr Züger. Er kritisiert den Traditionellen Unterricht folgendermassen: «Die Probleme die damit verbunden sind, sind altbekannt: Uninteressierte Schüler, Schüler die mit gewissen Lernprozessen nicht nachkommen und danach Wissenslücken aufweisen, Schüler die vom Tempo der Klasse abgebremst werden, etc.» Interessant ist hier erstmal der Begriff «Tempo der Klasse», ein Konzept dass auch im Dialog von Leuten zu finden ist, welche der Veränderung in der Lehrweise entgegenstehen. Rolf Dubs, ein emeritierter Professor der Wirtschaftspädagogik, der in seinem Beitrag für die NZZ quasi den Frontalunterricht verteidigt, schreibt etwa über den «Lernstand einer Klasse». (NZZ) Wenn man aber ein wenig darüber nachdenkt, fragt man sich, ob es wirklich möglich ist einen für alle fairen Stand einer gesamten Klasse zu bestimmen. Wie soll man für Gruppen von vielmals über 30 Personen beispielsweise bestimmen wann ein neues Thema behandelt werden soll? Nimmt man die stärksten der Klasse als Massstab, wird vielleicht mehr Materie behandelt, einige weniger starke werden mit viel Mühe nachkommen können, der grösste Teil der Klasse aber wird schnell den Durchblick verlieren und vermutlich durch diese Frustration die Lust am Lernen verlieren. Nimmt man die schwächsten geschieht wahrscheinlich das Gegenteil, die langsamsten werden in ihrem Idealtempo arbeiten können, das Lernen eines kleinen Teils der Klasse wird nur leicht abgebremst aber der Grossteil der Klasse wird überhaupt nicht mehr gefordert sein und vermutlich dadurch den Anreiz zu lernen verlieren. Auch wenn man versuchen würde eine Mitte zu finden werden sich gewisse in einem der zwei Extremen finden. Wäre da also nicht ein selbstständigerer Unterricht angemessener, in dem die langsamen den gesamten Stoff lernen können und die schnellen durch die Entwicklung von eigenen Lernfragen tiefer in die Materie einsteigen könnten als von ihnen erwartet wird? In meinen Augen liegt das Problem in der Einstellung die mit diesem Lehrsystem gegenüber dem Lernen und generell der veralteten Einstellung zum Menschen vertreten wird. Diese Idee, dass ein Mensch nur Leistung aufbringen kann, wenn er von extrinsischen Kräften dazu gezwungen wird, dieses Führer-Folger Modell mag in einer Zeit in der Versklavung und Klassendifferenzen akzeptiert waren angebracht gewesen sein, in der heutigen Welt in welcher die Selbständigkeit und Eigenverantwortung immer mehr Wert tragen scheint mir dies obsolet zu sein. Dass das Lernen unter intrinsischen Motivationsfaktoren besser gelingt wurde bereits 1992 belegt (LINK) und dass das Strafen von Schülern schadet mittels einer Analyse von Studien die über 250 Millionen Schüler behandelte bewiesen (Hattie). Um ein Beispiel für die Erhöhung dieser Selbstständigkeit zu finden braucht man nicht weit zu suchen; bereits grosse Betriebe wie die Swisscom experimentieren mit der sogenannten Holokratie, das Gegenbild zur Hierarchie, in welcher die Stellen der Chefs gestrichen werden.(SRF) Was Herr Züger also versucht, ist neben dem Fachwissen auch andere Fähigkeiten voranzutreiben, wie die Selbständigkeit und die Selbstverantwortung. Er sagt dazu folgendes: «Im SOL kriegen die Lernenden zudem die Möglichkeit sich Fähigkeiten anzueignen die vielleicht sogar wichtiger sind als die reinen Fakten, von welchen die meisten früher oder später als veraltet oder nicht mehr anwendbar gelten werden, Fähigkeiten wie das angehen von Problemen auf eine nicht offensichtliche Art, das «Thinking outside of the Box», die Möglichkeit sich selbst und das eigene Potenzial besser kennen zu lernen» Lernen ohne Wissen

Rolf Dubs schreibt im NZZ Artikel: «Erstens gibt es bei der Entwicklung von Strategien kein Lernen ohne Wissen.» Klar, ein Minimum existiert, jedoch könnte man argumentieren, dass sich dieses Minimum auf ein Wort reduziert hat. Bereits schon der Name einer Angelegenheit reicht heute in den meisten Fällen aus, um durch Suchmaschinen auf vollumfassende Informationsquellen zu stossen, welche das Thema beschreiben oder behandeln. Ein Lernprozess würde aus unserer Erfahrung folgendermassen aussehen: Im Idealfall findet man über die Suchmaschine Erklärungen des Sachbestands in Schriftform oder als Video, wenn nicht, mindestens auf einen Artikel, der das Thema behandelt und liest dann diesen. Wenn man nicht über die nötigen Vorkenntnisse verfügt gerät man zwar in Schwierigkeiten, weil man beispielsweise die Fachbegriffe oder angesprochene Konzepte nicht kennt. Während nach Dubs jetzt das Lernen nicht stattfinden kann, da man das nötige Wissen nicht besitzt stützt sich das Selbständige Lernen auf eben solche Situationen um den Wissenstand zu ermitteln. Innert des nicht verstandenen Textes würde man einzelne Begriffe suchen die man nicht versteht und diese dann in die Suchmaschine eingeben. Man ist dann quasi wieder am gleichen Punkt wie zu Beginn, nur sollte das Thema nun simpler sein. Wenn auch dieses Unterthema als zu Komplex erweist kann man den Prozess so lange wiederholen bis man bei den Absoluten Grundlagen eines Themas angelangt ist, zu welchem mit praktisch völliger Sicherheit Inhalte zu finden ist welches die gleichen Inhalte vermitteln die im Lehrerdialog vorhanden wären. Wenn man also als Argument für den Frontalunterricht sagen würde, die Fundamente müssen zuerst gelegt werden bevor Wissen darauf erbaut werden kann, könnte man diesen Lernprozess als studieren des Bauplans vor der Konstruktion bezeichnen. Folgend ist eine Darstellung, die versuchen soll den Prozess des selbständigen Lernens darzustellen:

Herr Züger unterstreicht diese intrinsisch geführte Lernmethode mit folgenden Worten: «Ich denke, dass es sehr gefährlich ist, wenn sich die neugierigen jungen Leute daran gewöhnen, dass alle Fragen die beantwortet werden sollten bereits im Buch vorhanden sind und nicht diejenigen die natürlich entstehen sind, es ist eine Art Drosselung der Neugier dessen Aufhebung viel schwieriger ist, als dessen Implantation.» Und seiner Ansicht nach fordert die Neugier Freiheit um sich zu entwickeln. Er ist der Meinung, dass Lehrpersonen ihre Rolle zu ändern haben um das Lernen zu maximieren, von Autoritätsperson in eine Art Lernbegleiter, eine Einstellung die ebenso beliebt zu sein scheint wie sie umstritten ist. Einer der grösseren Vorteile an einem individualistisch orientierten Unterricht ist zudem die Möglichkeit zu stärkenbezogenen Lernmethoden. Es ergibt auch Sinn, Menschen haben von Natur aus Stärken und Schwächen, ein Unterrichtskonzept in dem also alle gleich viel Zeit für völlig unterschiedliche „Disziplinen“ wie beispielsweise dem Verstehen von deutschen Texten, dem Rechnen von Physikaufgaben und dem Beantworten von Fragen in der Biologie aufwenden scheint also rein natürlich im Nachteil zu sein, verglichen mit einem System in dem die Zeit entsprechend dem benötigten Aufwand allokiert wird.

Lernkontrolle

Jedoch stellt sich dann die Frage wie man sicherstellen kann, dass die Zeit welche zur Verfügung gestellt wird auch zum Lernen genutzt wird, denn die erhöhte theoretische Produktivität erreicht kein erhöhtes Nutzen, wenn umgekehrt weniger Zeit damit verbracht wird Leistung zu erbringen. Herr Züger meint dazu: «Ich versuche den Unterricht so zu gestalten, dass diese selbstorganisierten Lernprozesse der Lernenden möglichst angeregt, unterstützt und begleitet werden, also möglichst gelingen können. Dabei versuche ich mir immer wieder bewusst zu machen, dass diese Prozesse selbstorganisiert agieren: Ich kann sie nicht machen, nicht formen, nicht erzwingen aber ich kann eine Lernlandschaft gestalten, in der solche Prozesse möglichst zur Entfaltung kommen können und nicht von mir an der Entfaltung gehindert werden.» Traditionellerweise würde die Lernkontrolle in Form einer schriftlichen Prüfung durchgeführt werden, in Herr Zügers Unterricht fanden aber oft überhaupt keine statt. Stattdessen arbeitete er mithilfe von Kompetenzrastern, ein Raster stellt jeweils ein Lernziel und eine jeweilige Teilnote dar. Die Schüler erstellen dann verschiedene Lernbelege, die jeweils mit Herrn Züger besprochen werden. Diese Lernbelege können die Form von Videos, Text oder Fachgesprächen annehmen, der Schüler kann also so arbeiten wie ihm das Lernen am besten gelingt. Der Lehrer kann dann im Besprechungsgespräch erkennen, ob die Schüler ihrer Arbeit nachgehen und Bei den entsprechenden Besprechungen wird dann kein grosser Wert auf die Note gelegt sondern vielmehr darauf dass ein Lernprozess ersichtlich ist und das weitere Lernen unterstützt ist. Fazit

Eine Studie von einem neuseeländischen Wissenschaftler mit dem Namen John Hattie, der über 15 Jahre mehr als 800 Metaanalysen zu den Lernerfolgen von insgesamt über 250 Millionen Schüler im englischsprachigen Raum zusammenführte, machte ihn gemäss dem Times Magazin zum «wohl einflussreichsten Bildungswissenschaftler der Welt». Was also meint er zu den verschiedenen Konzepten des Selbständigen Arbeitens? Er kommt auf den Schluss, dass die Unterrichtsform zu einem der Faktoren zählt, die am wenigsten Einfluss auf die effektiv messbaren Lernfortschritte der Schüler hat. Diese Studie aller Studien zeigt auf, dass auch nicht die Schüler der Wichtigste Faktor sind, sondern die Lehrer und ihre Fähigkeit konstruktive Selbstkritik auszuüben um den Unterricht zu verbessern. Ironischerweise sagen, gemäss einer anderen Studie, 48% der Lehrerschaften aus, dass sie keinen oder nur einen schwachen Einfluss auf das Lernen der Schüler haben. Hattie plädiert, dass die Welt der Bildung grösseren Wert auf eine Umfangsreiche Ausbildung der Lehrerschaften legen sollte. Er schreibt, dass es keine magische Formel in Form eines Unterrichtsstils gibt und dass Lehrer adaptiver ausgebildet werden sollten, da sie die Fähigkeit besitzen sollten mehrere Unterrichtsformen auszuprobieren und so zu verschmelzen, dass ein Klasseneigener Unterricht entsteht um das Lernen zu maximieren. Zudem sagt er, dass der beste Lehrer derjenige ist, der bei nichtgelingen des Lernens sich und seine Methoden hinterfragt und nicht die Schuld auf die Schüler abschiebt. (http://www.zeit.de/2013/02/Paedagogik-John-Hattie-Visible-Learning) Die Megaanalyse von Hattie behauptet aber auch auf, dass Faktoren wie die Klassengrösse und die verfügbaren Mittel keine grosse Rolle spielen. Niemand würde aber argumentieren, dass ein Unterricht in kleineren Klassen oder mit besseren Mitteln nicht weniger Anstrengend ist. Die Frage ist also, wenn diese Faktoren für den empirischen Lernerfolg unbedeutend sind, sollte es für die Bildenden Institute nicht auch wichtig sein, für die Schüler den Unterricht zu finden, der den Schülern nebenbei auch andere Fähigkeiten vermittelt und ihnen möglichst wenig Energie raubt, die sie dann in anderen Bereichen des Lebens einsetzen können?

 
 
 

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